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Von Susan Sontag zu Patti Smith – Bücher, Liebe, Leidenschaft

Susan Sontag - The Doors und Dostojewski

Susan Sontag: The Doors und Dostojewski Das Rolling Stone Interview mit Jonathan Crott

Susan Sontag und Jonathan Cott: The Doors und Dostojewski. Das Rolling Stone-Interviewmit Jonathan Cott. 
Hoffmann und Campe: Hamburg, 2014. 160 S., ISBN 978-3-455-50330-2, 18 €

 

WARNUNG
Das hier ist mitnichten eine vollständige Buch-Besprechung, eher so eine Art Spezial-Abschweifung der absolut notwendigen Art, hervorgerufen durch innere Begeisterungsstürme und tiefe Dankbarkeit dafür, dass uns manche Menschen so grossartige Kunst- und Denkwerke überlassen, wie die beiden, von denen hier die Rede sein wird. Es ist also mal wieder eine, für mein Schreiben und Lesen (und Leben) so typische ‚vom-Hölzchen-auf-Stöckchen‘ Geschichte. Man liest was, assoziiert ein bisschen vor sich hin, lässt sich inspirieren, wird neugierig und schon… aber bitte:

 

SUSAN SONTAG
Durch die Besprechung des Sontag-Buches auf Mara’s buzzaldrins quasi gezwungen – und natürlich, weil ich Frau Sontag und ihr Werk sowieso faszinierend finde – habe ich mir das oben genannte Buch mit Susan Sontag’s berühmten Rolling Stone-Interview bestellt und  sofort zu lesen begonnen. Ein grossartiges, geistreiches und sehr informatives Interview-Buch. Frau Sontag beantwortet Fragen nicht einfach so, sondern tatsächlich in kleinen, in der Regel fast druckreifen Vorträgen  oder Mini-Essays.

Im Vorwort von Jonathan Cott, (Autor zahlreicher Bücher, u. a. Interviewbände über Glenn Gould, Henry Miller und zuletzt über John Lennon und Yoko Ono, redaktioneller Mitarbeiter des Rolling Stone) zitiert er einen Satz Susan Sontags‘ über ihr Verhältnis zu Interviews:

Ich mag Interviews … und zwar deshalb, weil ich die Unterhaltung, den Dialog, mag und weiss, dass viele meiner Gedanken im Gespräch entstehen.“
in: The Doors und Dostojewski, S. 16

In der Tat fühlt sich man sich immer wieder an Heinrich von Kleist’s Aufsatz von 1805 Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden erinnert. Cott selbst hat in einem sehr interessanten Artikel für Utne über seine Beziehung zu Susan Sontag und über dieses lange Interview geschrieben.

Themen des Interviews sind unter anderem ihre beiden Essay-Bände Über Fotografie und der aus der Erfahrung einer eigenen Krankheit heraus entstandene (aber nicht die Bohne darüber berichtende) Band Krankheit als Metapher.

Ich habe diese beiden brillanten Bände gelesen und auch angenommen, die Texte einigermassen verstanden zu haben, allein: in diesem Interview bringt Sontag noch einige wichtige, mir neue Aspekte ins Spiel, die mich die Bücher, insbesondere das Metaphern-Buch, noch mal ganz neu lesen und verstehen lassen.

Es gibt noch eine Fülle von weiteren (existenziellen) Themen, die ich hier gar nicht alle auflisten möchte, das würde dem Buch einfach nicht gerecht. Eine Sequenz aus Sontags Text ‚Ein Brief an Borges‘ aber, die für mich als Leser und Mensch, der mit und in Büchern lebt, eine ganz besondere ist, möchte ich hier noch umkommentiert zitieren. Cott stellt sie ans Ende seines Vorwortes:

Sie haben gesagt, dass wir der Literatur fast alles schulden, was wir sind und was wir gewesen sind. Wenn Bücher verschwinden, wird die Geschichte verschwinden. Ich bin sicher, dass Sie recht haben. Bücher sind nicht nur die beliebige Summe unserer Träume und unser Gedächtnis. Sie bieten uns auch das Vorbild für Selbsttranszendenz. Manche Leute halten Lesen bloss für eine Art von Flucht: eine Flucht aus der ‚wirklichen‘ Welt des Alltags in eine imaginäre Welt, die Welt der Bücher. Bücher sind viel mehr. Sie sind eine Art und Weise, ganz und gar Mensch zu sein.
in: The Doors und Dostojewski, S. 18 ff.

Das soll es über dieses grossartige Gespräch gewesen sein. Es ist ein schmales Bändchen von 160 Seiten – aber es ist wirklich ein grosses intellektuelles Erlebnis, und zwar deshalb, weil Sontag in einer sehr verständlichen, klaren Sprache ohne jeden Intellektualismus spricht. Wer mehr wissen möchte, der lese bitte die sehr treffende Besprechung auf buzzaldrins.

 

PATTI SMITH
Und wie kriegen wir nun die Kurve zu Patti Smith? Ganz einfach. Natürlich mit einem Zitat aus dem Interviewband mit Susan Sontag. Im Zusammenhang mit Gedanken über die Art, wie Sontag liest und vor allem über ihren ‚Glauben‘ an die Geschichte sagt sie:

Ich glaube ernsthaft an die Geschichte, und das ist etwas, woran heute kaum noch jemand glaubt. Das, was wir tun und denken, sind historische Errungenschaften. Ich habe nur wenige Überzeugungen, aber dies ist gewiss einer meiner Grundsätze: dass beinahe alles, was wir für naturbedingt halten, geschichtlich ist und seine Wurzeln hat … Uns wurde ein Vokabular gegeben, das zu einem bestimmten geschichtlichen Zeitpunkt entstand. Wenn ich also zu einem Patti-Smith-Konzert ins CBGB’s gehe, dann geniesse ich, habe teil und lasse mich ein, und das kann ich umso besser, weil ich Nietzsche gelesen habe.
in: The Doors und Dostojewski, S. 54

Allein um die Sache mit Nietzsche zu verstehen, sollte jetzt übrigens jede geneigte Leserin, jeder geneigte Leser, sogleich zum Fernsprechgerät greifen und das Buch bei der Buchhandlung des Vertrauens bestellen… Es geht dann ein wenig später im Gespräch so weiter:

Cott   Und wie, glauben Sie, steht Patti Smith damit in Verbindung?

Sontag   Durch die Art, wie sie redet, wie sie auftritt, wonach sie strebt, durch ihr Wesen. Sie ist Teil der heutigen kulturellen Situation, und deren Wurzeln reichen weit zurück. … Rock’n’Roll hat wirklich mein Leben verändert.
in: The Doors und Dostojewski, S. 55

Bäng, da isses, Sontag kommt wirklich von Hölzchen auf Stöckchen – und ist dabei immer klar, immer stringent im Sinne der Erkenntnis, dass alles zusammengehört. Sie ist eine Meisterin der Notwendigen Abschweifung, allein deshalb bewundere ich sie…

Also Patti Smith! Als ich die oben zitierten Stellen gelesen habe durchzuckte mich stante pede meine Begeisterung für Patti Smith.  (autsch, aber sorry, dieser Satz musste einfach genau so raus).

Und warum? Im Zusammenhang mit dem Interview besonders deshalb, weil sie für mich die personifizierte Zusammenführung von Poesie und Rock’n’Roll (!!!), Intellekt und Empathie, Wut und Liebe, ja als eine Mischung aus früher Poetry-Slammerin,  und Rocksängerin ist.

Ausserdem ist sie auch noch eine veritable Schriftstellerin autobiographischer Prosa und nicht zuletzt ist sie geprägt durch ihr frühes Zusammenleben mit Robert Mapplethorpe. So, und nun sollen die Bilder und die mit den Bildern damit verlinkten Videos sprechen, denn im oben genannten Moment des Durchzuckend habe ich sofort angefangen, mal wieder Patti Smith zu hören.

 

Patti Smith performing We are the Future |  Rock'n'Roll Nigger

Patti Smith performing
We are the Future | Rock’n’Roll Nigger
gefunden auf Youtube am 22. August 2014

LEIDENSCHAFT
Wenn Ihr auf dieses Bild klickt, kommt Ihr zum Video. – Rock’n’Roll Nigger ist eines meiner liebsten Stücke von Patti. Sie kombiniert es bei ihren Auftritten immer mit einem gesprochenen oder besser gesagt gerappten Text. Der geht dann umstandslos in den Song über. Zuerst hat sie den Song auf Ihrer 1978er LP Easter herausgebracht.  Da kombiniert sie den Song mit dem grandiosen Babelogue.

Patti Smith - Bücher

Die Bücher

LIEBE & BÜCHER
Das war also die Poetry-Slammerin und Rock’n’Rollerin. Jetzt kommen wir zur Autorin. Sie hat zwei Bände mit autobiographischer Prosa veröffentlicht, der eine heisst Traumsammlerin und ist eine Sammlung erzählter Kindheitserinnerungen. Keineswegs stringent, äusserst poetisch, und wenn man Patti Smiths‘ Songs kennt, dann gibt es einiges zu entdecken, aber natürlich lohnt sich der Band auch für alle anderen Leserinnen, die für eine ungewöhnliche und poetische Prosa offen sind. Nicht zufällig findet sich auch zu diesem Buch eine sehr schöne Besprechung von Mara bei buzzaldrins.

Der andere Band heisst Just Kids – Die Geschichte einer Freundschaft und erzählt von ihren ersten Jahren in New York, von ihrer Freundschaft und Liebe zu Robert Mapplethorpe – und es ist die Geschichte ihrer Künstlerwerdung. Ein tolles, zuweilen sehr zärtliches Buch und sicher einfacher zu lesen, als die Traumsammlerin. Wenn Ihr auf das Bild klickt, dann kommt Ihr zu einem Artikel von Verena Lueken aus der FAZ vom 17. März 2010.

Patti Smith reading from Just Kids and performing Because the Night

Patti Smith liest aus ‚Just Kids‘ und
singt a cappella ‚Because the Night‘
gefunden auf Youtube am 23. August 2014

Hier sieht man Frau Smith, wie sie aus Just Kids liest. Natürlich kann sie auch eine Lesung nicht gestalten, ohne, dass sie mal kurz zur Rock’n’Rollerin wird. Wenn Ihr auf dieses Bild klickt, dann könnt Ihr das Video von Ihrer Lesung/Performance sehen. Sie kommt zu einer Stelle, an der sie über den von ihr gecoverten Springsteen-Song Because the Night, ihrem einzigen wirklichen Hit, wie sie nicht zu erwähnen vergisst. Und dann fängt sie an zu singen. A capella. Es ist beeindrucken, zärtlich und rührend zugleich.

THAT WAS IT
Falls Ihr es bis hierher durchgehalten habt, ganz lieben Dank. Falls nicht, lest Ihr das hier ja eh nicht mehr. Und: Nein, ich kann einfach nicht kurz, nicht mal, bei so einem Spontan-Post wie diesem hier. Aber ich werde es immer wieder probieren, doch doch…

Im Grunde war das hier eine Art Tour de Force durch meinen armen Kopf, die ich da aufgeschrieben habe. So geht das immer, und da soll man dann eine Ordnung reinbringen. Andererseits: dieses Hölzchen-auf-Stöckchen-Ding, dieses ewige Assoziieren, dieses hin-und-her-Springen zwischen den Themen liegt einfach daran, dass Literatur gierig macht, neugierig und gierig aufs Leben. Und damit schliesst sich der Kreis und wir sind wieder am Anfang, bei Susan Sonntag’s Satz von viel weiter oben, den ich hier noch einmal ans Ende stelle:

Manche Leute halten Lesen bloss für eine Art von Flucht: eine Flucht aus der ‚wirklichen‘ Welt des Alltags in eine imaginäre Welt, die Welt der Bücher. Bücher sind viel mehr. Sie sind eine Art und Weise, ganz und gar Mensch zu sein.
in: The Doors und Dostojewski, S. 18 ff.

 

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